2.4  STADT AM GOLDENEN HORN


Ausgeschlafen und tatendurstig traf ich am nächsten Morgen meine beiden Reisebegleiterinnen. Wir gingen alle zusammen los und hatten es darauf abgesehen, die Stadt zu entdecken, die wie ich schnell feststellte, eine schöne, prunkende, lebensvolle und lebenstolle Stadt war.


Der erste Weg führte zum großen, überdeckten Basar, der mir eine Stadt in der Stadt zu schein schien. Unvorstellbar, die Vielzahl an kleinen und großen Läden, unfassbar das große Areal, welches er umfasste. Es gab anscheinend alles dort zu kaufen, Berge von feinster gewebter Teppichware und dann Läden, mit allem was der Orient an Gewürzen zu bieten hatte. Beeindruckt war ich auch von den vielen Goldhändlern, die wahre Goldschätze feilboten und anscheinend die Goldarbeiten nach Gewicht in Rechnung stellten. Die Geschäfte schienen gut zu laufen, die Menschen drängten gut gelaunt durch die engen Gassen und die Händler luden zum Besuch ihrer Läden ein und spendierten eifrig schwarzen Tee in kleinen Gläsern.


Für meine Damen schien es das wahre Paradies zu sein, denn sie ließen sich viel Zeit, eifrig die Auslagen zu studieren und die Ware zu prüfen sowie mit den Händlern zu schwatzen und zu feilschen. Es schien mir, als hätten sie dies in Deutschland doch sehr vermissen müssen.


Nach dem großen Basar zog es uns zu einer wohl bekannten Einkaufsstraße in Istanbul, gleichfalls viel Menschenvolk und wo sich das fortsetzte, was im Basar angefangen hatte.


Um die Mittagszeit wurde es heiß und auch Zeit etwas zur Stärkung zu uns zu nehmen. Wir aßen dann in einen kleinen Restaurant, natürlich alles landesübliche Speisen, die ich auch teilweise köstlich fand. Dazu tranken wir wieder den unvermeidlichen, schwarzen Tee in kleinen Gläschen. Wie ich später noch des öfteren feststellen sollte, konnte das Servieren des Nationalgetränks der Türken richtig anspruchsvoll zelebriert werden.


Ayse stellte beim Essen fest, dass der Nachmittag genutzt werden müsste, um dem jungen Deutschen eine besondere Sehenswürdigkeit, einen der kulturellen Schätze dieser Stadt zu zeigen. Ausgewählt wurde von den vielen Wundern der Stadt - das Topkapi. Dort in den ehemaligen, weitläufigen Sultanspalästen mit ihren Parkanlagen sollten regelrechte Schätze auf auf den Besucher warten, prunkvolle Beispiele eines vergangenen osmanischen Reiches. Dorthin machten wir uns dann auf den Weg.


Während wir zusammen durch die herrliche Stadt gingen, die mir weltstädtisch und faszinierend vorkam, passierte es dann. Wir hatten mit einem Male die Mutter aus den Augen verloren. Nach einem ersten Schrecken, meinte aber Ayse, dass weder die Mutter noch wir beide verloren gehen würden und uns spätestens am Abend im Hotel treffen.


Das Topkapi war faszinierend und ich holte immer wieder mal meinen Photoapparat hervor. Das war eine vorgeschichtliche Bakelit-Box mit der Aufschrift > Agfa Click I und dem Format 6x6. Es war alles in allem eine simple Kamera, nicht nur von der Bedienung her, die mein Vater einem Freund abgekauft hatte, der in Geldverlegenheit war.


Ich dachte: Man müsste das Mädchen nicht nur in der Erinnerung behalten, nein, man müsste ein Foto für das Album haben. Ich sagte ihr das. Aber alles was sie antwortete, war: Brauchst Du denn ein Foto von mir, um mich nicht zu vergessen? Da widerstand ich traurig der Versuchung, dieses Geschöpf neben mir zu photographieren.


Nach dem Besuch der Sultanspalästen saßen wir in einem Café und die Verzauberung dieser Stadt und meiner Begleiterin kam wieder so über mich, dass ich alles um mich herum wie in einem Traum wahrnahm. Die fremden Stimmen in der fremden Sprache vermehrten als melodiöses Rauschen in mir noch das Glück der Ferne. Ich gestand mir selbst, dass dieses junge Mädchen mich wirklich anzog, und obwohl ich uns unbeobachtet wähnte, hatte ich nicht den Mut dies aussprechen.


Vielmehr fragte ich Ayse, welche Pläne sie für die Zukunft hätte. Und so, wie das Mädchen selbstbewusst antwortete, schien sie bereits ziemlich genaue Vorstellungen zu haben. Nein, meinte sie, wenn es nach ihren Wünschen ginge, würde sie nach dem Urlaub ihrer Mutter nicht mit ihr zurück nach Deutschland fahren, sondern viel lieber in ihrer Geburtsstadt Bursa bleiben, um dort die Hochschule zu absolvieren und dann auch zu studieren. Ihre Vater würde sie dabei sicherlich unterstützen und sie wäre mit ihrer jüngeren Schwester zusammen. Ich erfuhr dann auch, dass ihre Eltern geschieden waren. Es viel mir schwer, aber ich musste mir eingestehen, dass ich meine gerade begonnene Ausbildung unbedingt beenden musste, um zumindest einen ordentlichen Beruf zu haben, der mich ernähren würde. Dann war ja da auch noch der Wunsch ein Studium aufzunehmen.


Meiner Frage, ob sie denn auch mal heiraten wolle und sie sich vorstellen könne,  dass es vielleicht auch einen Deutscher sein könnte, wich sie aus, schaute mir fest ins Gesicht - und sagte, zunächst denke sie nur an eine gute Schule und an ein erfolgreich abgeschlossenes Studium - mehr nicht. In diesem Moment erschien sie mir viel rationaler und ehrlicher als ich - und soviel reifer.


Und als ob das Schicksal bereits mit dem Finger eine weitere grausame Wahrheit aufzeigen wolle: Ein junger Mann am Nebentisch warf heftige Blicke auf meine Begleiterin und sagte etwas, was strafend klang. Ayse hatte ihn natürlich genau verstanden und übersetzte es mir in einem möglichst unverfänglichen Ton. Offenbar war davon die Rede, dass er uns nicht als deutsche Touristen ansah, zumindest nicht Ayse. Dann schlug sie vor, doch möglichst schnell das Café zu verlassen, um drohende Schwierigkeiten zu vermeiden. Ich bezahlte eilig und kleinlaut und wir machten uns davon.


Da war doch so ein schönes Bild in meinem Kopf gewesen: die herrlichen Sultanspalästen, die Uferpromenade im leuchtenden Grün, die See, die vielen Schiffe und Boote - und, ach ja, am meisten das bezaubernde Mädchen.


Dann hatten mich die letzten Minuten in einem Strudel von Empfindungen gestürzt, zuerst ihre Zukunftspläne und dann das Beispiel für die kategorischen Sittengesetze und strengen Regeln. Mir war das Heulen nahe und überlegte, was ich hätte besser machen können. Aber ich weiß heute, dass alles genauso gewesen wäre.


Eine Moschee stand wunderlich fremd gegen einen rötlich werdenden Abendhimmel über der vieldächerigen Stadt. Dann eine Brücke von einer alten Konstruktion und doch mit einem so bunten Treiben, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. Ich wurde wieder von einer Woge seltsamer Fremdheit überspült. Der frischere Abend ermunterte und es wurde Zeit, langsam zum Hotel zurückzukehren. Ayses Mutter erwartete uns bereits - aber ganz unaufgeregt wegen des nachmittäglichen Verlorengehens.


Am Nachmittag des zweiten Tages in der Stadt am Goldenen Horn, wollten wir die Fähre nehmen, die an der alten Galata-Brücke anlegen und uns nach Mudanya am südöstlichen Teil des Marmarameers übersetzen sollte. Von dort würden wir mit dem Bus in etwa einer halben Stunde Bursa erreichen. Insgesamt sollte die Fahrt also etwa zwei Stunden dauern.


Am liebsten hätte ich die letzen, die wenigen verbleibenden Stunden in Istanbul, alleine mit Ayse verbracht. Vielleicht an der romantischen Uferpromenade mit dem herrlichen Panorama ringsum. Aber wir sollten nicht alleine sein und in der Zeit bis zum Ablegen der Fähre waren wir alle nicht sehr gesprächig und in unseren Augen waren vielleicht so etwas wie Heiterkeit und Wehmut. Das bunte Treiben überall sorgte für Ablenkung und dann lief auch schon die Fähre ein.


Eine große Zahl von Menschen strömte an Bord und verteilte sich auf den verschiedenen Decks. Auch wir eilten die Gangway hinauf und suchten uns auf dem obersten Deck einen Platz an der Reling. Von hier sollten wir bei der Ausfahrt einen unbeschreiblich schönen Blick auf die Stadt und ihren Ufern, über denen Topkapi, die Moscheen, die Altstadt, die Galata-Brücke und der Galata-Turm thronten. Ich stand neben Ayse mit meinem Köfferchen in der Hand, ihr hübsches, schwarzes Haar war vom zerrenden Seewind ganz in Unordnung geraten.


1970 CHAPTER 2

Sultan Ahmed Moschee

Im großen bedeckten Basar von Instanbul

EIN

 LETZTES

MAL

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